Dienstag, November 28, 2006

Von richtigen Kriegen und falschen Kriegern

Die Befreiung des Irak hat wie so vieles, was die USA anpacken, seit je her ein Imageproblem. Wenn es nach der Mehrheit der europäischen Politiker, Medien und deren Wählern/Zuschauern/Lesern gegangen wäre, würde Saddam Hussein noch heute ungestört seine bedauernswerten Untertanen in die Massengräber treiben und mit Hilfe seines nach Ende der Sanktionen längst wieder aufgenommenen WMD-Programms auch unter seinen Nachbarn wieder fröhlich Angst und Schrecken verbreiten. Seit einiger Zeit jedoch ist eine Veränderung in der Argumentation der Irakkriegsgegner zu beobachten. Wurde der Krieg gegen den Irak bisher meist prinzipiell abgelehnt, so tritt inzwischen eine neue Variante der Kritik an der US-Außenpolitik in den Vordergrund.

Wo früher die aus pazifistischen oder antiamerikanischen Quellen gespeisten Befürworter einer Kuschelpädagogik gegenüber Terrorregimen den Ton angaben, dominieren nach deren gegenseitiger argumentativer Selbstdemontage zunehmend Möchtegernhardliner, die den jetzt immer schneller immer größer werdenden Schatten iranischer Atomwaffen zum Anlaß nehmen, den Einmarsch im Irak nur als den "falschen" Krieg zu kritisieren, der statt dem "richtigen", also dem gegen den Iran, geführt worden sei und diesen damit - leider, leider! - unmöglich gemacht habe. Statt also wie früher George W. Bush anzukreiden, daß er zu sehr auf die nationale Sicherheit geschaut habe, so versucht man ihm jetzt umgekehrt vorzuwerfen, daß er im Gegenteil ein regelrechtes Sicherheitsrisiko sei.

Zwar ist das nicht wirklich ernstzunehmen, schließlich geht es wie üblich auch hier bloß um das traditionelle Bushbashing, nur halt in neuem Gewand. Denn es ist natürlich nicht davon auszugehen, daß dieselben Personen Bush im Falle eines Angriffs auf den Iran wirklich unterstützt hätten, zumal die Mullahs damals ja noch ein paar Jahre weiter von der Atombombe weg waren. Auch widersprechen sich diese Pseudokriegstreiber selbst, da sie gleichzeitig behaupten, daß der Iran ein viel gefährlicherer Gegner wäre als der Irak, so daß es dort kaum weniger Schwierigkeiten gegeben hätte. Und wie unsere Freunde auf Schwierigkeiten reagieren, wissen wir spätestens, seit Fukuyama Hals über Kopf getürmt ist, nur weil diese fiesen Terroristen sich doch tatsächlich gegen ihre Niederlage zu wehren wagen.

Noch fragwürdiger als die Motive und die Aufrichtigkeit derjenigen, die die These verbreiten, daß die Operation "Iraqi Freedom" den USA für "Irani Freedom" die Hände bindet, ist allerdings die These selbst. Die Behauptung, daß die Lage im Irak den Vereinigten Staaten sämtliche Optionen für ein härteres Vorgehen gegen den Iran nimmt, ist schlicht und einfach völliger Unsinn, der dadurch, daß seine Fangemeinde inzwischen neben gewissen Bloggerkollegen auch bekannte Nachrichtenmagazine und sogar einen leibhaftigen ex-Außenminister umfaßt, nicht richtiger wird. Aufgrund der zunehmenden Verbreitung dieser Idee wird es daher höchste Zeit, die Bedenken dieser Neobellizisten hinsichtlich einer US-Invasion im Iran mal ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen.

Warum es gar nicht nötig wäre

Zunächst einmal wären die im Irak stehenden US-Truppen für einen begrenzten Schlag gegen das iranische Atomprogramm überhaupt nicht unbedingt notwendig. Sogar eine Strafaktion gegen die Revolutionsgarden wäre ohne größere Probleme sozusagen "nebenher" durchführbar. Diese Operationen ließen sich nämlich im wesentlichen mit Luft- und Seestreitkräften erledigen, die anders als die Landstreitkräfte derzeit eher unterbeschäftigt sind, so daß für eine derartige Operation genügend Kapazitäten frei wären, ohne die Einsatzbereitschaft im Irak nennenswert zu beeinträchtigen. Die damit verbundenen Gefahren wären eher politischer Art, was die interne Bewertung einer derartigen Aktion durch US-Militärplaner als "low-risk" unterstreicht.

Aber auch wenn sich die USA entschließen sollten, das Problem an der Wurzel anzupacken, und das Regime in Teheran ein für allemal aus dem Verkehr ziehen wollten, wären die im Irak stehenden Truppen dafür nicht zwingend unabdingbar. Zwar wäre deren dauerhafte Verfügbarkeit für eine anschließende Stabilisierungsoperation sicherlich von Vorteil, aber da zumindest der jüngere Teil der iranischen Bevölkerung den USA und den westlichen Idealen von Freiheit weit aufgeschlossener gegenübersteht als das beispielsweise in der arabischen Welt der Fall ist, wäre eine Demokratisierung des Iran nach dem Sturz des derzeitigen Regimes auch ohne längere amerikanische Besatzung nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern möglicherweise sogar erfolgversprechender.

Warum es nicht zu verhindern wäre

Aber selbst wenn die USA zu dem Schluß kämen, daß es sinnvoll wäre, die im Irak stationierten Truppen für eine Invasion einzusetzen, so hätten die dort operierenden Terroristen keine Möglichkeit sie daran zu hindern. Auch wenn diese Erkenntnis für die Bewunderer des irakischen "Widerstands" bitter ist und angesichts deren Glaubens an die eigene Propaganda etwas überraschend kommen mag, aber die US-Truppen besitzen anders als ihre Gegner im Irak totale Bewegungsfreiheit. Wenn das US-Militär morgen aus Langeweile beschließen sollte, den ganzen Laden einmal komplett quer durch den Irak zu verlegen und wieder zurück, so bliebe unseren islamofaschistischen Helden nicht viel übrig, als dem Schauspiel staunend zuzuschauen.

Denn eine isolierte kleine Humvee-Patrouille in einer engen Seitenstraße einer abgelegenen Provinzstadt zu beschießen ist ein bißchen was anderes als eine kriegsbereite Invasionsstreitmacht in Armeestärke auf der Suche nach Ärger an ihrem Aufmarsch hindern zu wollen. Natürlich könnten unsere irakischen We(h)rwölfe den USA in Einzelfällen auch dabei Verluste zufügen, aber ein paar schnell improvisierte Schießereien wären angesichts eines bevorstehenden ausgewachsenen Krieges sicher nichts, was irgendeinen General dazu bewegen dürfte, seinen Vormarsch einzustellen, und zwar selbst dann, wenn es dem iranischen Geheimdienst wider Erwarten doch gelingen sollte, völlig unbemerkt einen größeren Aufstand im Südirak vorzubereiten.

Wovon dem für besagten Aufstand vorgesehenen Kanonenfutter im übrigen dringend abzuraten wäre. Denn wer die Tet-Offensive nachspielen möchte, sollte sich in Erinnerung rufen, wie selbige ausgegangen ist. Man kann sie getrost als das größte Selbstmordattentat der Geschichte bezeichnen, mit dem Unterschied, daß das Verhältnis zwischen getöteten Attentätern und erzielten Opferzahlen wohl nie so ungünstig war wie bei dieser Aktion. Der Vietcong hörte nach dieser Kamikaze-Aktion praktisch auf, als organisierte Kampfeinheit zu existieren. Und wer glaubt, daß die USA einen al-Sadr nach einer derartigen Aktion noch mal mit einem blauen Auge davonkommen lassen würden, hat ein sehr freundliches Bild von der Leidensfähigkeit der US-Streitkräfte.

Doch selbst wenn es den Mullahs gelänge, eine größere und länger andauernde Terrorwelle gegen die US-Truppen im Irak anzuzetteln, so könnten sie sich dafür auch nichts mehr kaufen, denn länger andauernd ist kein guter Plan, wenn das eigene Ende binnen Wochen oder gar Tagen kommen kann. Auf jeden Fall würde schon ein aus freien Stücken beschlossener planmäßiger Truppenabzug um einiges länger dauern als der Sturz der im eigenen Land verhaßten Klerikalfaschisten. Wer diesen Abzug über Gebühr zu beschleunigen gedenkt, sollte daher nicht vergessen, daß eine "exit strategy" ohne weiteres auch über Teheran führen kann, wie bereits vor über einem Jahr zwar im Spaß, aber trotzdem nicht ganz zu unrecht festgestellt wurde. Und in wie weit auf "targeted killings"-Listen stehende Flüchtlinge dann noch große Terroroffensiven in anderen Ländern koordinieren können, lassen wir mal dahingestellt.

Warum es durchaus möglich wäre

Spätestens an dieser Stelle kommt jetzt normalerweise das so populäre wie falsche Gegenargument, die iranische Armee wäre ohnehin viel zu stark, als daß die USA mit ihr fertig werden könnten. Mal ganz davon abgesehen, daß dieselben "Experten" das auch schon zweimal über die irakische Armee gesagt haben und die iranische Armee vergleichsweise eher schlechter als besser ausgestattet ist, sollte es den Zweiflern zu denken geben, daß selbst nach den Erfahrungen im Irak, wo die Alliierten angeblich zu wenig Truppen hatten, für eine großangelegte Invasion des Iran nur Truppenverbände in ungefähr derselben Größenordnung eingeplant werden wie für den Einmarsch im Irak im Jahre 2003. Ansonsten sollte man nicht alles glauben, wenn eine Diktatur kurz vor dem Ende anfängt, von irgendwelchen Wunderwaffen zu fabulieren.

Nicht viel intelligenter ist das beliebte Hochrechnen der Größe eines Landes auf seine Verteidigungsfähigkeit. Quadratkilometer ersetzen keine Kampfverbände, im Gegenteil - längere Frontlinien sind für den Verteidiger ohnehin schon mindestens genauso sehr von Nachteil wie für den Angreifer, aber bei gegnerischer Luftherrschaft sind sie geradezu katastrophal. Und eine zahlenmäßig stärkere Bevölkerung, die wie im Iran dem herrschenden Regime überwiegend feindlich gesonnen ist, ist im Zweifelsfall für einen Verteidiger, der nur dafür kämpft, selbige weiterhin ungestört unterdrücken zu können, ein weit gefährlicheres Sicherheitsproblem als für einen potentiellen Befreier, zumindest solange die - in PR-Sachen allerdings zugegeben nicht sonderlich begabten - USA sich da keine allzu schweren Fehler zuschulden kommen lassen.

Doch es kommt noch besser (oder schlimmer, je nach Standpunkt). Auch die Hoffnung, daß die irakische Regierung ohne die Anwesenheit der US-Truppen sofort zusammenbrechen würde, ist vergebens. Natürlich würde dies zu einigen Problemen führen, aber zu glauben, daß am Tag nach dem Abzug der Amerikaner Sarkawi den Präsidentenpalast stürmt, das Kalifat ausruft und die Minister des amtierenden Kabinetts köpfen läßt, zeugt von realitätsfremdem Wunschdenken. Der Irak des Jahres 2006 ist nicht mehr der von 2003. Die irakischen Regierungstruppen sind bereits jetzt weit stärker, als es die "Rebellen" je sein werden. Die Lage würde sicherlich instabiler, aber zur einer Machtergreifung gehört dann doch noch ein bißchen mehr, als einfach nur zu beschließen, Politiker zu werden.

Aber selbst wenn die irakische Regierung infolge eines Abzugs der US-Streitkräfte stürzen und das Land auseinanderbrechen würde, so wäre auch dieses "worst-case scenario" aus amerikanischer Sicht immer noch weit besser als die Lage vor 2003. Denn schlimmstenfalls würde das Land dann halt dreigeteilt, die Kurden würden unabhängig und müßten eben alleine die Demokratiefähigkeit der arabisch-islamischen Welt demonstrieren, Saddam wäre immer noch gestürzt, sein Programm zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zerstört, und auch wenn Sunniten und Schiiten tatsächlich noch in großem Stil übereinanderherfallen sollten, so könnte ein abgerüsteter Irak seine Nachbarn auf absehbare Zeit jedenfalls nicht mehr ernsthaft bedrohen.

Vor allem aber, und das ist dann im wahrsten Sinne des Wortes das Totschlagsargument, welches all das Gerede von der Handlungsunfähigkeit der USA in einem radioaktiven Logikwölkchen verpuffen läßt, wäre nichts, was sich selbst ein mit noch so viel kranker Phantasie gesegneter Bushhasser für die Entwicklung im Irak ausdenken könnte, auch nur halb so schlimm, wie eine iranische Mittelstreckenrakete mit einem schwarzen Turban auf dem bärtigen Nuklearsprengkopf. Denn eine nicht unerhebliche Motivationsquelle der NeoCons war es ja gerade, Atombomben in den Händen von Terroristen und Schurkenstaaten langfristig zu verhindern. Wenn sie diese dadurch aber sogar kurzfristig bekämen, würden die Demokratisierungspläne für den Nahen und Mittleren Osten notfalls sofort geopfert.

Warum es sogar einfacher wäre

Doch damit nicht genug, ist die Realität für die wiedergeborenen Friedenskrieger noch weit deprimierender. Die Tatsache, daß amerikanische Truppen im Irak stehen, ist nämlich nicht nur kein Hindernis für einen Schlag gegen den Iran, sie ist sogar diesbezüglich von nicht unerheblichem Vorteil. Denn auch wenn die Verschwörungstheoretiker, die zu Beginn des Irakkonflikts die Ansicht vertraten, daß der Angriff auf den Irak nur eine Ausgangsbasis für einen Krieg gegen den Iran schaffen sollte, mit ihrer monokausalen Betrachtungsweise weit über das Ziel hinausgeschossen sind, so lagen selbst diese anerkannten Spinner noch weit näher an der Wahrheit als die derzeit angesagte Kreuzung aus Irakkriegsgegnern und Irankriegsbefürwortern.

Denn falls sich die USA für die "große Lösung" - also die Befreiung des Iran inkl. einer Invasion durch Landstreitkräfte - entscheiden sollten, wären die im Irak bereits stationierten Einheiten von unschätzbarem Vorteil. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg eines "regime change" ist nämlich der Überraschungseffekt, und der ließe sich wesentlich leichter erzielen, wenn die für eine Invasion nötigen Truppenverstärkungen als Teil einer größeren Antiterroroffensive oder im Rahmen der üblichen Truppenrotation erfolgen könnten. Dies würde die Vorwarnzeit für den Iran drastisch reduzieren. Hinzu kommen die logistischen Vorteile für die USA, da die Masse der benötigten Truppen bereits im Nachbarland steht und nicht erst noch monatelang aus Übersee herangeschafft werden muß.

Doch auch für den Fall, daß die USA nur einen begrenzten Schlag gegen das Mullahregime durchführen wollten oder daß die derzeitige irakische Regierung einem Angriff von ihrem Territorium ablehnend gegenüberstünde, wäre die bloße Anwesenheit der US-Truppen im Nachbarland ein nicht zu unterschätzendes Problem für die iranischen Verteidigungsplaner. Denn getreu der im Schach wie ihm Krieg geltenden Regel, daß die Drohung mitunter stärker ist als die Ausführung, wäre der Iran trotzdem gezwungen, sich selbst dann auf eine Landinvasion vorzubereiten, wenn die im Irak stationierten US-Truppen keinen einzigen Schuß abfeuern.

Wenn aber der Schwerpunkt der Verteidigung auf die Abwehr einer Invasion vom Irak aus gelegt werden muß, dann wertet das sämtliche den USA sonst noch zur Verfügung stehenden schwächeren Alternativen von einer Zerstörung der Atomanlagen über einen Enthauptungsschlag gegen das Regime oder die gezielte Zerstörung der Revolutionsgarden bis hin zu einer amphibischen Operation massiv auf. Das kann dann allerdings zweierlei bedeuten: Entweder wird die Aufgabe der USA, das Mullahregime am Erwerb von Atomwaffen zu hindern, gerade durch den Erfolg im Irak und die daraus resultierende, möglicherweise noch in diesem Jahr beginnende Truppenreduzierung schwieriger. Oder aber die Zeit für Chameini und seine Schergen läuft schneller ab als gedacht. Hoffen wir auf letzteres.

Keine Kommentare: